Oxly Boote

Stapellauf

Kai Mauer © April 2012
Ja, da ist es wieder, das aufregende Gefühl. Ich stehe auf meinem Boot, das seit viel zu vielen Monaten ein schattiges Dasein an Land fristen musste. Einige letzte Handgriffe, fast schon routiniert, dann ist es soweit. Der Hafenmeister hebt die Hand, das Seil auf der Winde beginnt sich kontrolliert zu lösen. Meine 8 Meter gleiten auf einem Schlitten hinab in ihr eigentliches Element, das Wasser. Ich wollte den Moment nicht missen, gebe mich gelassen und bin doch immer wieder so erregt, wie beim ersten Mal. An Bord bleiben durfte ich im entscheidenden Moment nicht, keine Versicherung duldet Passagiere beim alljählichen Stapellauf im Frühling. Aber ich hatte alles in der Hand. Jedenfalls suggeriert das der starke Tampen, den ich entschlossen umklammere, während ich wieder Zeuge dieses physikalischen Wunders werde, wie 2 Tonnen versenkt werden und trotzdem obenauf schwimmen.

Natürlich lasse es ich mir nicht nehmen, mein Boot selbst vom engen Slip ins offene Gewässer zu steuern. Und natürlich nutze ich die Gelegenheit zu einer Probefahrt. Die Sonne scheint bei angenehmen 13 Grad, der See liegt noch verlassen vor mir, während meine neue Schraube vibrationsfrei durchs nasse Element dreht und mir so den nötigen Vortrieb gibt. Nein, ich drehe noch nicht auf. Und das nicht wegen der im Vergleich zum Vorjahr wieder schmerzlich gestiegenen Spritpreise, sondern aus Respekt vor dem betagten Sechszylinder, der seit beinahe einem halben Jahr tatenlos vor sich hin dösen musste. Aber nach einer weiteren Viertelstunde sind wir wieder eins, das Boot, die Maschine, das Wasser und ich. Ich steigere die Drehzahl erst auf 2.000, dann auf 3.000 Umdrehungen und weiß genau, dass jetzt nur noch ein ganz kleines bisschen fehlt, um in die Gleitfahrt überzugehen. Und das geben wir uns natürlich auch noch. Schließlich ist der Tank ja noch vom Vorjahr gut gefüllt, zu einem Preis, der mir heute fast günstig erscheint. Der Rumpf hebt sich aus dem Wasser und das Boot nimmt von alleine noch mehr Fahrt auf. Ein anderer Aggregatzustand, fast schwerelos, wäre da nicht die Silhouette eines weiteren maritimen Gefährts, zudem noch in blau-weiß. Ich weiß nicht, warum der Instinkt hier immer Recht behält, was das Fernglas sofort bestätigt. Nun ja, das Okular hat optisch in jeder Beziehung mehr mit einem Opernglas gemein, als mit einem Feldstecher. Und obwohl ich Opern hasse, sind sie mir doch näher, wie der militärische Terminus für eine Seehilfe.


Wasserschutzpolizei

Die Wasserschutzpolizei liegt wie eine Barrikade auf meiner Route. Jetzt nur die Ruhe behalten und ganz, ganz langsam das Gas zurück nehmen. Nicht, weil ich mich außerhalb des Limits bewege, sondern, weil ein guter Freund im letzten Jahr zur Kasse gebeten wurde, obwohl ihm keinerlei Übertretung nachgewiesen wurde. Allein die Tatsache, dass er seine Fahrt „spürbar verlangsamt“ haben soll, hätte ihn verdächtigt gemacht. Und geht diese besondere Spezies der Wasserordnungshüter erst mal längsseits, dann führt erwiesenermaßen kein Weg daran vorbei, dass du dieses Manöver auch bezahlen musst. Mir ist – auch und gerade nach regem Austausch unter Gleichgesinnten – kein einziger Fall bekannt, bei dem eine Verwarnung oder Belehrung getan hätte. Hier zahlt jeder den Tribut an die Obrigkeit, ohne Ausnahme. Nie vergessen werde ich die Fahrt mit dem 5-Meter-Boot eines Freundes durch eine riesige Schrägwandschleuse. Nur wir und ein Boot der blau-weiß getünchten Staatsmacht lagen in der Kammer. Einhundert Meter von einander entfernt. Gleich nach dem Verlassen der Schleuse wurden wir gestoppt. Wer sonst? Nur wir waren „greifbar“. Nach der obligatorischen Kontrolle der Papiere bat man uns wenig höflich aber bestimmt um eine Sondersteuer in Höhe von 30 Euro. Die Frage „Wofür?“, war weder kindliche Neugier noch obrichkeitsfeindlicher Reflex. Letzteren haben wir im Griff. Es war einfach das schiere Verlangen nach Aufklärung, vielleicht gepaart mit dem Wunsch, wenigstens vorgeben zu können, dass man aus Fehlern lernen wolle. Wir hätten uns in der Schleuse auch an der gelb markierten Leiter festgehalten, war die knappe Antwort. Ja, aber die gelb markierten Poller, Stangen und Leitern seinen doch zum Festmachen oder wenigstens zum Festhalten, antworteten wir, was bei unserem Plastikboot von überschaubarer Größe und mit beherrschbarem Gewicht ja eine Option ist. Nein, hieß die barsche Antwort, die Leitern seinen zwar gelb, aber das Festhalten daran verboten. So verboten, dass es gleich 30 Euro kostet? Hätte es beim ersten Mal nicht auch eine Belehrung oder Verwarnung getan? Naiv, wie sich gleich herausstellte. „Was soll ich denn am Abend meinem Chef erzählen, wenn ich nichts in der Kasse habe? Soll ich sagen, ich habe alle belehrt?“ Nun, so deutlich hätte er über den Auftrag der Wasserschutzpolizei nicht werden sollen. Das spricht für sich und für alle Erfahrungen, die ich und gleichgesinnte Sportbootfahrer bisher sammeln durften. Und – es erinnert mich an die Willkür von Staatsbediensteten in autoritären Ländern. Und da ich mich als West-Berliner hauptsächlich in ostdeutschen Gewässern aufhalte, was ich im Übrigen mehr als zu schätzen weiß, frage ich mich auch nicht mehr, woher diese Zeitgenossen ihre Ethik und Berufsauffassung nehmen. Nennen wir es einfach „alte Schule“.

Aber heute habe ich Glück, die Raubritter halten sich schon an einem Segler schadlos. Ich habe einen Anflug von Mitleid oder Solidarität und doch fahre ich mit starrem Blick und gespielter Teilnahmslosigkeit an Täter und Opfer vorbei, nehme Kurs auf meinen Heimathafen, finde mühelos meine mir wieder zugestammte Box und mache zum ersten Mal in diesem Jahr an meiner Planke fest. Das Element hat mich wieder, ich freue mich auf die Saison und darauf, dass sich eines Tages durchsetzen wird: “Wir sind das Bootsvolk!“