Ketzin und Paretz
Einmal Ketzin und zurück, Teil 1 2 3 412. 6. 2013 © Thomas Gade
Ketzin liegt im Havelland zwischen Potsdam und Brandenburg. Am Anleger der Gaststätte ‘An der Fähre’ liegen nur wenige Boote und der Liegeplatz direkt am schmalen Steg, der zum Ufer führt, ist frei. Zum Anlegen gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder längs an den Steg oder man nutzt die Pfähle, an denen das Boot achtern festgemacht wird. Vorne hat unser Boot eine Einstiegsluke. Es ist bequemer dadurch hinein zu gelangen, als sich durch das Gestänge des Verdecks zu zwängen. Der Skipper von einem Segelboot kommt rüber, fängt ein Tau auf und hilft uns beim Anlegemanöver.
Boote am Gastanleger des Restaurants ‘An der Fähre’
Der Anleger des Restaurants ist für Gäste kostenlos. Mit Blick auf die Havel und das eigene Boot wird auf der Terrasse angenehm gespeist. Was will man mehr? Tagsüber rattert die Seilfähre. Sie muss ihre schwere Kette vom Grund der Havel empor holen und sich daran von Ufer zu Ufer ziehen.
Neben der Anlegestelle gibt es eine Badestelle und eine öffentliche Toilette. Deswegen bleiben einige Boote über Nacht und stehen in unmittelbarer Nähe mehrere Wohnmobile. Während eines Spaziergangs durch Ketzin sehen wir eine Immobilienanzeige. Die Wiese mit der Badestelle soll als Baugrundstück verkauft werden. Hoffentlich entgeht dies dem Betreiber der Gaststätte nicht, der sie kaufen und belassen sollte, wie sie ist. Die Attraktivität des Standortes bliebe erhalten.
Badestelle an der Havel
Bei unserer Ankunft ist der Garten der Gaststätte ungewöhnlich voll. Draußen stehen mehr Tische. Die Plätze sind besetzt. Im Freien werden Forellen und Würste gegrillt. Die Gäste bedienen sich an einem Buffet mit Beilagen. Eine Live Band spielt irische Musik. Nach anstrengenden Tagen in Berlin steht uns (noch) nicht der Sinn nach so einem Ereignis. Erst mal abschalten, ist angesagt. Deswegen setzen wir uns mit Brot, Wurstkonserven, Tee und Bier auf eine Wiese an der Havel. Für die nötige Nachtruhe sorgen später Ohrstöpsel, die stets zum Gepäck gehören.
Live Musik neben dem Bootssteg
Im vergangenen Jahr sind wir zufällig zum Ketziner Fischerfest eingetroffen und konnten den Ortskern nur im Ausnahmezustand mit Veranstaltungen und sehr vielen Besuchern erleben. Doch heute ist nichts los und wir latschen gemütlich zur Havelpromenade. Dort befindet sich eine große Slipanlage. Eine Schranke versperrt die Zufahrt. Pro Slipvorgang sind sechs Euro fällig. Der zuständige Ansprechpartner ist über eine Telefonnummer erreichbar. Die Öffnungszeiten stehen auf der Website ketzin.de.
Slipanlage in Ketzin
Ein Stückchen weiter erreichen wir den Stadtanleger für Sportboote. Die Anlage ist hervorragend. Es gibt einen breiten Hauptsteg, der für Menschen mit Problemen auf schmalen Stegen keine Herausforderung ist. Selbst die Seitenstege sind relativ breit und die gesamte Konstruktion schwimmt. Wechselnde Wasserstände sind unproblematisch, weil die Hafenanlage mit dem Wasser steigt oder sinkt.
Stadtanleger für Sportboote in Ketzin
Auf dem parkähnlichen Ufer steht ein kleiner Bau, der eine Dusche, ein WC und das enge Büro der Hafenmeisterin enthält. Pro Meter Bootslänge sind 0,75 € pro Nacht fällig. Wie mit solchen Einnahmen die Kosten für die Instandhaltung der Hafenanlage zu decken sind, entzieht sich unserem Verständnis. Vielleicht erklärt dies den Wartungsrückstand. Die begehbaren Böden der Hafenanlage bestehen aus Holzbrettern, die gereinigt und gegen Witterungseinflüsse behandelt werden müssten.
Wie lange wird das halten? Ungepflegtes Holz
Bevor wir gehen, begibt sich eine Wasserratte vom Ufer in das Wasser und beginnt zu schwimmen. Ein Blesshuhn weicht ihr nicht von der Seite und gespannt beobachtet wir, ob sie sich in die Wolle kriegen. Offensichtlich trägt sich die Ratte mit ähnlichen Gedanken und macht kehrt, um dem hartnäckigen Begleiter aus dem Weg zu gehen. Die Ratte verschwindet am Ufer.
Blesshuhn und Wasserratte
Unser Weg führt uns auf ein verlassenes Betriebsgelände. Das Werk ist ruinös und seit langer Zeit stillgelegt. Man spürt förmlich das historische Abwicklungsverfahren aus der Zeit nach dem Ende der DDR. Ein Hafenbecken ragt in das Gelände hinein. Auf der Mole sitzen Angler. Es scheint niemanden zu stören, dass wir hier umherlaufen. In Berlin wären längst alle Scheiben zerschlagen und die Wände mit Graffiti besprüht. Unweit dieses Abenteuerspielplatzes befindet sich ein langgestrecktes Haus, in dem die Tafel zweimal wöchentlich Lebensmittel an sozial Schwache ausgibt. Dort erklärt uns ein freundlicher Einheimischer, dass das stillgelegte Werk eine Zuckerfabrik war. Der Grundstoff waren Rüben und einmal im Jahr kam eine größere Menge Zuckerrohr aus Kuba, das ebenfalls zu Zucker verarbeitet wurde. Im Gegenzug erhielten die Kubaner die begehrten Mopeds des Typs Schwalbe. Zu DDR Zeiten war halb Ketzin in der Zucker- und Futtermittelproduktion beschäftigt. Nun residiert hier die Tafel und den Süßstoff stellt keiner mehr her. Auf die Frage, ob die damals Entlassenen neue Arbeit gefunden haben, lächelt der Ketziner achselzuckend.
Ehemalige Zuckerfabrik in Ketzin
Wir erkundigen uns, ob man mit unserem Boot in die Ketziner Bruchlandschaft hineinfahren kann. Mit kleinen Booten sei dies möglich, meint der Herr, aber unser reisetaugliches Kajütboot wäre nicht dafür geeignet.
Unser Weg zurück zum Boot führt an der Gaststätte Redo XXL vorbei. Wir gehen rein, um zwei Eis zu kaufen. An einem Tisch sitzt eine Familie und bestellt Coca-Cola. Die Kellnerin fragt: “Jeweils einen Liter?” Der Vater bestätigt dies. Die Kellnerin geht zum Tresen, greift sich vier riesige Humpen, schüttet in jeden eine Ladung Eiswürfel und zapft Coca-Cola, bis die Gläser voll sind. Die Speisekarte ist einen Blick wert. Das Fleisch im argentinischen Rinderschnitzel wiegt 1,2 kg, die Kohlroulade 1,3 kg und der XXXL Fleischspieß bringt 1,5 kg auf die Waage. Der ‘Strammer Max’ wird aus neun Spiegeleiern zubereitet. Die Currywurst wiegt ein Kilo und kostet mit einer großen Portion Pommes 15,90 €.
Wir belassen es bei jeweils zwei Eiskugeln und ziehen weiter. Der Inhaber der Gaststätte ‘An der Fähre’ steht in einem imbissartigen Vorbau und schält Spargel. In einer gekühlten Vitrine liegen Fischbrötchen. Ein Matjes kommt gerade recht. Wir erfahren, dass am heutigen Abend keine Veranstaltung im Garten des Restaurants stattfinden wird.
Der Nachmittags ist bereits halb verstrichen; mit dem Boot auszulaufen lohnt sich nicht mehr. Daher gehen wir nach Paretz, um das Schloss und den restaurierten historischen Ortskern zu besichtigen. Erstaunlicherweise sind an diesem warmen sonnigen Wochenendtag kaum Leute unterwegs. Wir gehen ein Stück auf einem Hochwasserdeich, der an die überfluteten Gebiete in anderen Teilen Deutschlands erinnert. Kommt es hier tatsächlich zu Situationen, in denen die Deiche notwendig sind? Es scheint kaum glaubhaft, aber unsere Vorfahren werden sicherlich ihre Gründe gehabt haben, um sie anzulegen.
Hochwasserdeich an der Havel in Ketzin, Ortsteil Paretz
In Paretz wurden diverse historische Bauten saniert. Das Schloss ist ein langer nüchterner Bau umgeben von Rasenflächen mit Bäumen. Sachlichkeit dominiert. Der alte Ortskern wirkt wie ein Museum.
Schloss Paretz
Wir gehen zurück. Ein kühles Bad in der Havel tut gut. Auf der anderen Seite der Havel sind Inline-Skater zu sehen. Sie fahren auf dem glatten asphaltierten Fahrradweg. Wer Spaß daran hat, sollte seine Skater mitnehmen. Binnenschiffe ziehen vorbei. Zwei Jungs brettern auf Jetskis über den Fluss und ziehen einen hohen Schweif aus Wassertropfen hinter sich her. Ein großes Charterfloß von Havelmeer fährt vorbei. Auf der riesigen Dachterrasse tafeln die Reisenden im Freien. Unten steht der Rudergänger alleine am Steuerrad.
Havelmeer Floß bei Ketzin
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