Im Motorboot Wilson durch Berlin. Ja, es war wieder so weit. Die Nacht in Kreuzberg war lang und die zweite Nachthälfte im Urbanhafen war kurz, wie immer. Diesmal gab es das Gitarrenkonzert ab 5 Uhr morgens. Die Jungs kamen früh, in der Morgendämmerung gegen 4 Uhr und gingen gar nicht mehr. Es ist immer wieder schön, seine Toleranzen abzuprüfen, der Jugend das Feld zu räumen und sich an den hilflosen Griffen von C-Dur und E-moll einer schlecht gestimmten Gitarre zu erfreuen. Ja, ja, sie sind unsere Zukunft, ich weiß, doch kann diese Zukunft nicht etwas später beginnen, so etwa gegen 7 Uhr morgens?
Nun gut, mein Motorboot ‘Wilson’ ist allzeit bereit, einen frischen Kaffee noch, ich lege ab. Es ist inzwischen 7 Uhr morgens, gefühlte Tagesmitte. Der Landwehrkanal liegt noch im Schlaf, die ersten Wasseramtsmitarbeiter trinken ihren Tee an der Reeling des Arbeitsschiffes, grüßen mit der deutlichen Handbewegung, doch die Geschwindigkeit von 5 km/h auf 2 km/h zu drosseln. Das geht nur im Rückwärtsgang; ich lasse mich treiben und grüße freundlich zurück. Gegen 8 Uhr gelange ich nach gemächlicher Fahrt an die Tiergartenschleuse.
Good in time. Ich freue mich auf die frühe Fahrt über den Wannsee. Routiniert lege ich an der Gegensprechanlage des Sportbootliegeplatzes an, drücke die Taste und höre: “Ihr Notfall wird umgehend weiter gemeldet an die entsprechende Stelle.”
Ups, was soll das denn?
Ich will doch nur schleusen. Ich warte und probiere es noch einmal. Dasselbe. Dann gucke ich hoch und sehe das Schild. Nein, denke ich, die erste Schleusung ist um 11:15. Na super! Das sind noch über 3 Stunden, schönen Dank.
Okay, okay.
Ich mache das Boot fest am hinteren Teil der Wartestelle, springe ans Ufer und gehe in den Schleusenkrug zum Frühstücken. Doch der öffnet erst um 9 Uhr.
Okay, okay.
Ich gehe den Fußweg Richtung Bahnhof Zoo. Rechts an dem Bahndamm gegenüber dem Streichelzoo liegen viele Menschen noch in ihren Schlafsäcken und Decken unter freiem Himmel. Einige auf Pappen. Viele schon sehr lange. Bunt und gewöhnungsbedürftig.
Okay, okay.
Da reicht kein Hartz4 und kein Taschengeld, um das zu ändern. Auch die Bahnhofsmission scheint nicht mehr umsonst zu sein. Der Zooeingang wird gerade geöffnet, Mc Donalds hat draußen schon aufgebaut, der Zoopalast wird bereits abgerissen und meinen zweiten Kaffee nehme ich im 2. Stock beim Buchladen Huggendubbel in der Tauentzienstraße ein. Da gibt es eine Zeitung und “Schoßgebete” liegt neben “Feuchtgebiete”. Da ist genug zum Lesen drin. Kurzweilig, unteres Niveau, aber unterhaltsam. Das Niveau sinkt, die Stimmung steigt. Es ist ganz plötzlich 11 Uhr, ich gehe zurück zum Boot. Auf der Schleusenbrücke sehe ich ein Fahrgastschiff. Na, das passt ja, denke ich, beeile mich, springe in Boot, lege ab. Es ist 11:13
“Das Sportboot wartet bitte auf das Freizeichen.” ertönt es völlig überzogen in Lautstärke und Ton aus den überdimensionierten Lautsprechen. Die Ampel am Sportbootliegeplatz ist leuchtend rot. Jogger drehen sich um und laufen in die falsche Richtung, Fahrradfahrer stürzen von den Rädern und die Fahrgäste erfreuen sich der Abwechselung. Endlich mal was los auf dem Schiff.
Okay, okay.
Ich lege wieder an. Es ist wirklich genug Platz in der Schleuse, doch es ist noch nicht 11:15. Auf einen Deutschen kommen inzwischen neun Kontrolleure oder Menschen die das Einhalten von Regeln bewachen. Wo führt das hin? Dann doch lieber Bahndamm, denke ich noch, oder wird da auch schon kontrolliert?
Okay, okay.
Das ist eben ein Morgen, der einem das Höchstmaß an Toleranz abgenötigt hat. Für irgendetwas wird es gut sein. Doch für was? Wir werden sehen.
Der Schleusenwärter und die Kapitäne der Ausflugsdampfer und Sportboote sind mutig. Vielleicht werden sie von den Zuschauern auf der Brücke angespornt. Die Schleuse wird manchmal bis auf den letzten Quadratzentimeter vollgepackt. Auch Sportboote passen da noch rein.
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Schleusenbetriebszeiten am Landwerkanal in Berlin-Tiergarten:
1. April bis 31. Oktober – 11.15 bis 20.45 Uhr
Schleusungen außerhalb der Betriebszeiten nur für berechtigte Fahrzeuge
Auf dem Landwehrkanal herrscht Einbahnstraßenbetrieb! (Von Ost nach West)
In meinem nächsten Leben werde ich Schleusenwärter. Dann kann ich lange schlafen und bei Bedarf auch mal ordentlich durch das Mirko andere Leute erschrecken.
Hallo Leute,
ein wirklich schöner Bericht. Ich bin auch Bootsführer und kann nur gutes über die Tiergartenschleuse berichten. Trotz großen Andrangs werden die Schleusungen immer zügig und effektiv durchgeführt. Es passen sogar 2 Fahrgastschiffe und 4 Kleinfahrzeuge in das Schleuseninnere. Ich wünsche allen Wassersportlern allzeit gute Fahrt.
Ahoi Mirko
Ich bin gerne im Schleusenkrug direkt neben der Tiergartenschleuse und sehe mir das Treiben dort an. Das ist immer wieder nett.
Ich möchte auch ein Boot haben und durch die Stadt tuckern. Geht das ohne Führerschein?