Mai 2011. Unsere Fahrt vom Pohlesee in Berlin nach Potsdam, durch Caputh bis nach Werder findet bei gutem Wetter statt. Zwar ist es überwiegend bewölkt, aber der Wind ist schwach. Auf dem Wasser ist die Luft frisch und belebend. Die Fahrt verläuft angenehm. Werder liegt an der brandenburgischen Havel und wird vom Schwielowsee, Glindowsee, Großer Plessower See und Zernsee umgeben. Der Ort ist bekannt durch seine Havelinsel, auf der sich der historische Stadtkern mit diversen Sehenswürdigkeiten befindet. Dort befindet sich eine beliebte Anlegestelle für Ausflugsdampfer. Zwischen Werder und Wannsee verkehren mehrere Fahrgastschiffe. Erwartungsgemäß hat Werder diverse Häfen für Sportboote.
Von Süden aus kommend, nehmen wir den Ort vom Wasser aus in Augenschein. Das Fernglas hilft uns, die Texte auf Tafeln zu lesen, die am Ufer aufgestellt sind. Die begehrten Plätze am havelseitigen Ufer der Insel gehören teilweise zu den dort ansässigen gastronomischen Einrichtungen. Auf dem Wasser ankommende Gäste dürfen dort festmachen. An dieser Handvoll Anlegestellen sind Übernachtungen nicht vorgesehen. Nördlich von der Dampferanlegestelle gibt es einen Segelclub, in dem kein einziges Motorboot liegt. Nach der Fahrt um die nördliche Inselspitze gelangen wir in einen schmalen Seitenarm. Hier befindet sich eine Regattastrecke und ein Wasserwanderrastplatz der Gelben Welle. Bei dem niedrigem Wasserstand, der heute vorherrscht, befinden sich die Seitenbretter der Anlegestellen hoch über dem Wasser. Aus dem Anlegen wird dann eher ein Unterlegen, zumindest für das Deck des Bootes. Wellen würden das Boot immer wieder nach oben heben und die Decksoberseite gegen die unteren Bretter der Steganlage stoßen. Alternativ kann das Boot mit dem Bug zum Steg vertäut werden. Achtern wird es durch Taue zwischen zwei Pfählen fixiert. Stege, die seitwärts entlang der Boot verlaufen, gibt es nicht. Wir fragen die Leute auf einem angelegten Boot, ob es hier sanitäre Anlagen gibt. Ein WC sei vorhanden, jedoch keine Duschen, erfahren wir. Es gefällt uns nicht.
Die Weiterfahrt um die kleine Insel ist unterhalb der Brücke nur kleinen Booten möglich. Die anderen müssen außen rum. Wir fahren zurück, um den Yachthafen Scheunhornweg anzusteuern. Laut unserer Liegeplatzliste bietet er mehr Komfort, frisches Wasser, Strom, WCs und Duschen. Auf der kurzen Fahrt dorthin ziehen dunkle Wolken auf. Das Wetter ändert sich rapide. Durch das Fernglas wird die Mobiltelefonnummer des Hafenmeisters von einer Tafel gelesen, was bei dem Schwanken des Bootes gar nicht so einfach ist. Wir rufen ihn an.
„Hallo, haben Sie einen Liegeplatz für uns?“
„Wie lang ist ihr Boot?“
„Sechs Meter dreissig.“
„Fahren Sie rechts rein. Suchen Sie einen Stand mit einem grünen Schild.“
Es beginnt zu regnen und kräftig zu wehen. Es stellen sich Zweifel am Gelingen eines ordentlichen Einlaufmanövers mit diesem unwendigen Kahn mit starrer Welle ein.
Der Hafen hat eine breite und eine schmalere Einfahrt. Der Regen nimmt zu. Der Wind drückt ordentlich von Steuerbord. Muss das gerade jetzt passieren? Wir nehmen die schmalere Einfahrt und sehen die Schilder. Rot für belegt und grün für frei. Da ist eine freie Lücke! Irgendwie kommen wir gut rein. Die ersten beiden Taue werden schnell und nicht gerade seemännisch korrekt angebunden. Die Füße werden beim Rumturnen auf dem schmalen Steg nass. Es ist schlagartig kühl geworden. Eine Achterspring wird gesetzt, damit das Boot nicht laufend mit der Nase gegen den Steg gestoßen wird. Die zweite Vorleine wird schon gelassener befestigt; die Kleidung ist ohnehin feucht und das Boot kann nicht mehr wegtreiben. Danach werden die Seitenteile des achterlichen Verdecks wieder eingesetzt, um den Regen abzuhalten.
Wind und Regen lassen bald wieder nach, doch bleibt es kalt. Nach dem Wechseln der Kleidung erfolgt der Gang zum Hafenmeister. Der sitzt in einer Art Bretterhütte mit Vorzelt auf dem verbreiterten Stegabschnitt dicht beim Ufer. Er ist in Gesellschaft von Leuten in ausgelassener Stimmung. Alkohol und Häppchen stehen auf der Tagesordnung. Die Speisen sehen lecker aus. Der Hafenmeister händigt uns gegen 10 € Pfand einen Schlüssel zur Steganlage und für die sanitären Räume aus. Wir erhalten ein Formular: „Füllen Sie das in Ruhe aus und kommen Sie morgen wieder.“ Das hätten wir gleich machen können, aber vielleicht steckte ein tieferer Sinn hinter dieser Regelung.
Wir gehen auf die Insel, um im Fischrestaurant Arielle eine geräucherte Forelle zu essen. Eigentlich sitzt man dort auf der Terrasse direkt an der Havel, doch sind die Plätze nass. Die Kälte hat die Gäste in die Innenräume gedrängt. Sie sitzen eng zusammen, sind merkwürdig gekleidet, die Herren in pastellfarbigen Oberhemden, und bereits auf einem alkoholischen Level, dem wir uns nicht annähern wollen. Das nahegelegene Restaurant im Hotel Prinz Heinrich hat geschlossen. Beim Betreten des Galerie Cafes am historischen Marktplatz erfahren wir: „Wir schließen gerade. Die Küche ist nicht mehr besetzt.“ Es ist 19 Uhr. Die offizielle Öffnungszeit erstreckt sich laut einer Tafel von 12 bis 21 Uhr. Auf der anderen Straßenseite liegt das ‘Hotel zur Insel’. Davor steht ein Rettungswagen. Es taucht ein weiteres Auto mit Blaulicht auf. Der Notarzt. Ein Blick in den Speisesaals des Hotel offenbart ein hohes mutmaßliches Durchschnittsalter der finster dreinblickenden Versammlung aus hochbetagten Gästen, die irgendwie den Eindruck einer konspirativen Zusammenkunft vermitteln. Auf uns wirkt das alles andere als einladend, auch wenn die Küchengerüche appetitanregend sind.
Wir laufen zurück zum Boot, holen uns wärmere Kleidung und machen uns nochmal auf den Weg zum Restaurant Arielle. Mit einer geräucherten Forelle und zwei Bier begeben wir uns auf die nasse Terrasse an der Havel, wischen die Stühle trocken und lauschen den Klängen eines von uns noch nie gehörten deutschen Sängers, der seinen Weltschmerz aus dem benachbarten Zeltpavillion herüber klingen läßt. „Ist das Livemusik?“, drückt meine Begleiterin ihre musikalische Verwunderung aus. Doch kommt die Musik aus einer Anlage, die weitere Stücke von dem Interpreten zum Besten gibt. Wer produziert so etwas? Wir befinden uns hier in Werder mit ihren berüchtigten Blütenfesten, auf denen man auch melancholischen, besoffenen, unzufriedenen, in sich gekehrten Männern auf musikalische Weise ein Gefühl der Solidarität vermitteln muss. Du bist nicht allein mit deinem Schmerz. Vielleicht ist das so eine Musik.
In der anbrechenden Dunkelheit fliegt ein einsamer Graureiher heran und landet auf dem Pfeiler der benachbarten Anlegestelle. Ob er ein Stück von unserem Butterfisch mag? Wir legen ein Stück beiseite. Die große leckere geräucherte Forelle wird restlos von uns vertilgt.
Nach dem Mahl schlendern wir zurück. Die Gehwege scheinen hochgeklappt zu sein. Ich erinnere mich an einen Reisebericht von L. Wimberg: “Vom Wasser aus gesehen sehen die Ort klasse aus, aber abends ist dort nichts los. Die Leute sitzen auf ihren Booten, trinken Bier und langweilen sich.”
Eine gemütliche Kneipe für einen letzten Absacker ist tatsächlich selbst am Samstag nicht in Sicht, doch erwartet uns noch ein besonderes Konzert. Auf Seerosenblättern nahe am Ufer des Yachthafens tummeln sich Frösche, die um die Wette quaken. Manchmal platscht es nach einem Froschsprung. Auf den Stegen dösen Enten, die sich von uns und unseren Taschenlampen nicht stören lassen.
Der heutige Abend soll in anderer Hinsicht eine Premiere werden. Wir verbringen die erste Nacht auf unserem Boot. An Bord machen wir uns an das Zurechtmachen des Bettes. Die Tischplatte wird über die Lücke zwischen den Sitzreihen in der Kabine gelegt. Sie ist zu kurz, um die gesamte Länge zu überbrücken. Wo ist das fehlende Teil? Wir finden es nicht und improvisieren. Ein Brett aus der Mitte der Rückbank in der Pflicht läßt sich als Verlängerung verwenden. Die ungenutzte Chemietoilette im kleinen WC-Raum, der als Schrank für unsere Reisetaschen dient, wird als Stütze unter die Bretter gestellt. Mit einem Ruckdämpfer aus Gummi klemmen wir das eigentlich nicht für diesen Zweck vorgesehene Rückbrett der Bank fest und hoffen, dass uns die mittlere Unterlage unseres Nachtlagers nicht zusammenkracht. Wir legen uns jeweils auf eine Seite des Lagers und meiden die Mitte. Das erscheint uns sicherer. Draußen quaken die Kröten. Ich schlafe gut. Am nächsten Morgen guckt mich meine Begleiterin sehr skeptisch an. Ihr Blick sagt: “So habe ich mir das nicht vorgestellt.” Mir fällt der Spruch eines Freundes ein: “Frauen fahren nur einmal mit.” Die Sonne scheint und verbreitet rasch gute Laune. Beim Gang auf dem Steg entdecken wir ein Blässhuhn mit Küken. Es hat den typisch roten Schnabel. Sein Federkleid ähnelt noch einem wuscheligen Fell. Die Frösche quaken zur Begrüßung. Ein paar Leute schlurfen in sehr lässiger Kleidung von ihren Booten zum Waschhaus. Kurz darauf finden wir das fehlende Teil des Bettes im vorderen Stauraum.
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Tipp:
1. Wir merken uns, dass man immer ein Gläschen Merrettich nach Werder mitnehmen muss, denn am Fischstand gibt es keinen.
2. Nimm guten löslichen Kaffee mit!
Yachthafen Scheunhornweg Diese Anlegestelle hat eine ordentliche Infrastruktur. Die Stege sind in Ordnung und nachts gut beleuchtet. In fußläufiger Nähe gibt es Einkaufsmöglichkeiten. Die Versorgung mit Strom und Wasser am Steg ist vorbildlich. Pro Meter Boot haben wir 1,5 € bezahlt. Es wird in 1/2 Meter Schritten abgerechnet. Das Duschen war kostenfrei inbegriffen. Sind mehr als zwei Personen an Bord, ist ein Zuschlag fällig.